Melken (Gewinner des Land Forum Literaturpreises 2011)

Es war im Sommer meines zwölften Lebensjahres, als mich meine Großmutter eines Morgens in den Stall beorderte, um fürs Frühstück Milch zu melken.
Meine Eltern hatten mich vor einem Monat bei meinen Großeltern auf der Alm abgeliefert und ich hatte seither nichts mehr von ihnen gehört. Doch ich musste gestehen: hier in der Natur vermisste ich sie keine Sekunde lang. Es blieb nur wenig Zeit zum Denken, geschweige denn für Heimweh. Und abends war ich so erledigt, dass ich einschlief, bevor noch die Sonne untergegangen war.
Sternenklarer Himmel hing um vier Uhr morgens über der Alm. Ich lief nur in einer Latzhose bekleidet mit dem Kübel in der Hand in den Stall. Ich liebte den Morgen, den frischen Duft von Gras, den kühlen Tau unter meinen nackten Füßen, das weiche Gras zwischen meinen Zehen. Die Grillen zirpten im Chor, als ich die Stalltür öffnete, wo mich sogleich ein intensiver Geruch empfing: die Kühe standen in zwei Reihen da, mit ihren Hörnern gegen die Wand. Eine der Kühe war trächtig und lange überfällig.
Ich blieb kurz stehen und atmete tief durch.
Ich schnappte einen Schemel und setzte mich zu meiner Lieblingskuh Amelie. Ich spukte in die Hände und rieb sie warm, um Amelie nicht zu erschrecken, wenn ich an ihre Zitzen fasste. Als ich ganz vorsichtig meine kleinen warmen Finger um ihre Dutten schlang, erschrak sie trotzdem – ich hatte sie wohl aus dem Schlaf gerissen. Sie muhte nur leise und erkannte mich an meinem städtischen Akzent, als ich ihr beruhigend zusprach.
Ich begann langsam, aber kräftig zu melken. Dabei sog ich gierig ihr strenges, animalisches, doch anregendes Aroma ein. Erste weiße Tropfen liefen über meine Finger. Und da schossen schon Milchstrahlen am Eimer vorbei, denn die erste Milch war voller Dreck und Bakterien und musste entfernt werden. Nach ein paar Melkbewegungen zielte ich mit der Zitze in den Kübel. Wenn ich das Gefühl hatte, dass ich an einer Zitze zu lange gemolken hatte, griff ich nach einer anderen und molk an ihr weiter, um bald genug Milch in den Kübel zu bekommen. Oftmals landete die Milch aber auch ganz unbeabsichtigt jenseits des Kübels, wenn der Milchstrahl zerstreut aus der Zitze schoss. Meine Latzhose wies schon einige weiße Flecken auf und über meine Beine und Füße liefen kleine Milchtröpfchen. Einmal war ich sogar so ungeschickt und spritzte mir den weißen warmen Saft mitten ins Gesicht. Ich musste laut auflachen, sodass ich die Zitzen losließ und beinahe den Kübel mit der Milch umstieß. Grinsend schleckte ich mit der Zunge um den Mund und wischte mir den Rest vom Gesicht. Die kräftige Milch, die mir an den Fingern klebte, leckte ich gründlich ab, denn ich liebte die frische warme Flüssigkeit und wollte keinen Tropfen verschwenden.
Als ich so an den Fingern lutschte, kam ich auf eine Idee: wie wäre es, die Milch direkt aus der Zitze zu trinken, so wie es die Kälber taten? Ich griff noch einmal an die Dutten und ließ ein wenig Milch herausschießen. Dann kniete ich mich nieder und kroch unter Amelie. Ich setzte mich direkt unter ihren Euter und es war gar nicht einfach, von unten die Zitze mit dem Mund zu erreichen. Ich war noch zu klein, um sie mit den Lippen umfassen zu können, also hockte ich mich hin und hielt mich an Amelies Dutten fest. Ich prüfte, ob es ihr unangenehm war, doch sie schien sich nicht an mir zu stören.
Ich stand nun so weit auf, dass ich mit der Nase ganz nahe herankam, schloss meine Augen und öffnete meinen Mund. Dann legte ich meine Lippen um die Zitze, deren Geschmack ganz anders war, als ich mir vorgestellt hatte: leicht bitter, salzig, als würde ich an einem schmutzigen, verschwitzten Finger saugen. Die Wärme, die von ihr ausging, durchdrang meinen ganzen Körper und kleine Schweißperlen formten sich auf meiner Stirn. Ich saugte so fest ich konnte, war aber nicht in der Lage, auch nur einen Tropfen zu produzieren. Somit beschloss ich, manuell nachzuhelfen: mit ein paar Melkbewegungen direkt in meinen Mund. Ich molk an der Zitze, saugte gleichzeitig daran. Unter der Gürtellinie rührte sich etwas und spannte. Mit meiner Zunge leckte ich den ersten Tropfen und ich saugte noch stärker, schüttelte noch kräftiger mit meinen Armen, aber niemals so grob, dass ich Amelie verletzte.
Mir wurde furchtbar heiß und ich öffnete die Knöpfe meiner Latzhose, deren Träger auf meine Beine fielen und meinen nackten Oberkörper zum Vorschein brachten.
Und da: ein fester Strahl warmer Flüssigkeit drang in meinen Mund, dann noch einer und ich saugte befriedigt an dem warmen Saft, fünf, sechs Mal –
Da stand plötzlich meine Großmutter neben Amelie und schrie: Was machst du da, Junge? Sie nahm den Kübel in die eine Hand und zerrte mich mit der anderen am Ohr unter Amelie hervor. Meine offene Hose glitt mir vom Körper und ich stand nackt da, stolperte meiner Großmutter mit der Hose um die Beine hinterher. Sie sah mich gar nicht an, sondern zerrte nur grob an mir, aus dem Stall heraus und vor das Marterl am Hof.
Der frische Morgen ließ meinen aufgeheizten Körper abkühlen und die Spannung in meinem Unterleib ließ langsam nach. Ich bekam eine kräftige Ohrfeige und mit den Worten Jetzt kniest du dich vor unseren Herrn und betest zehn Vater Unser und fünf Ave Maria! ließ sie mich zurück und ging zurück ins Haus. Ich hatte keine Ahnung, was ich angestellt hatte, aber ich traute mich nicht eher ins Haus zurück, bis ich die auferlegte Strafe vorm Marterl erledigt hatte. Ich arbeitete an diesem Tag viel härter als jemals zuvor, nur um meiner Großmutter wieder zu gefallen.
Noch heute blickt sie mich an, als wäre ich kein Mensch, sondern etwas Anderes, Unbestimmtes, vor dem sie keinen Respekt hat – so, als wäre ich ein furchtbarer Unmensch.

***

Diese Kurzgeschichte wurde im Frühling 2011 in Graz verfasst.

Ich hatte gerade einen Job an der Uni Graz in einem Forschungslabor als ich geichzeitig die Nachricht erhielt, dass ich bei dem Literaturwettbewerb gewonnen habe und einen neuen, extrem gut bezahlten Job in Tokio habe. Wenn etwas tolles, dann passiert es gebündelt, auf einmal. Dann wieder jahrelang nichts.

Damals waren meine Eltern bei der Preisverleihung, 2000 Euro und eine schöne Veranstaltung mit Lesung und gutem Essen. Meine Mutter meinte, man hatte ihr beim Interview nicht geglaubt, dass meine Großmutter keinen Bauernhof hat. Und ich auch sonst wenig Ahnung habe vom Bäuerlichen.

Aber ich weiß, wie es ist, wenn man neugierig ist.