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#Leseprobe BANANSKI (Episode 1)

EPISODE 1

Unter furchtbaren Schmerzen brechen mir Flügel aus dem dünnen Rückenfleisch und ihre Wurzeln umfassen fest das Herz. Versuche ich, mit den Flügeln zu schlagen und abzuheben, brechen sie ab wie morsche Zweige und zerfallen zu Staub. Doch die Wurzelranke um mein Herz bleibt und drückt weiter fest zu. Dalís schmelzende Uhren tröpfeln mir mit 120 bpm auf die Stirn und von irgendwoher schleicht sich langsam ein immer lauter werdender Rhythmus um die Gehörknöchelchen und weiter in den Kopf hinein, wie dornige Schlingpflanzen um die Gehirnwindungen. Die Schläfen pulsieren im Takt zu den Uhrentropfen. Violette Blüten sprießen und ihre Früchte wachsen zu Bananen, die sich öffnen und das weiße Fruchtfleisch entblößen, sich zum Anbeißen anbiedern.

So erwachte ich beinahe täglich im Bananenbilderrausch; nur sukzessive Betäubung machte die Situation erträglich. Ich verfiel der Bananenpornografie. Dabei sollte ich doch der gesunden Ernährung, dem Sport und der Literatur verfallen. Bisher jedoch sträubten sich meine mir selbst auferlegten Pflichten und ergaben sich kampflos den gelben Gelüsten, die hinter jedem fruchtigen Gedanken auflauerten.
Nach meiner Rückkehr aus dem Urwald hatte ich drei Tage durchgeschlafen. Nichts von dem, was ich mir vorgenommen hatte, hatte ich in Angriff genommen: kein einziges Wort geschrieben, keine Skizzen für Acryl-Bilder gezeichnet, kein einziges japanisches Kanji gelernt – außer 芭蕉 – und keine einzige Bewerbung verfasst. Nur einzig Bananen benebelten meine verteufelten Sinne.
Endlich, nach Tagen, verließ ich die Wohnung und traf zufällig Rigoberto, einen alten Schulfreund. Er behauptete, ich wäre sein Vorbild, jemand, der alle Konventionen hinter sich ließ, auf die Gesellschaft pfiff und einfach ohne Rücksicht auf Verluste seinen Weg ging. Aus meiner Sicht war ich nicht sein Vorbild, sondern schlichtweg seine Antithese: ledig, kinderlos, arbeitslos, introvertiert, intelligent. Rigoberto hatte sich von seiner Frau und seinen zwei Kindern zähmen lassen und er hatte durchaus recht gehabt: Hinter jedem Frauenherz lauerte ein Sturm. In jeder Fut steckte ein ersoffenes Männerherz. Am Ende waren wir alle Opfer unserer eigenen Dummheit. Hörten wir auf unsere Gedanken, gaben wir der Angst und der Vorsicht nach, ginge es uns gut. Es wäre ziemlich langweilig, aber es ginge uns gut. Doch der Wahnsinn der angeblichen Freiheit war nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt auszuhalten, dann musste man ihn abdrehen – oder darin untergehen. Ich versuchte im Sturm Schwimmen zu lernen, aber die Aussicht auf Erfolg war gering.
Rigoberto fragte mich unverblümt, wie viele Frauen ich im Dschungel gefickt hatte. Er hatte offenbar die sonderbare Vorstellung, dass ich mich auf alles gestürzt und es begattet hatte, das nicht bei drei auf den Bäumen war. Dabei schloss er wieder einmal von sich auf andere.
Um vor ihm nicht lächerlich zu wirken, log ich – die Wahrheit verliert immer gegen den Stolz! „Drei“, sagte ich. Aller guten Dinge sind immer drei.
Wir verabschiedeten uns mit der Aussicht auf ein formidables Besäufnis, irgendwann demnächst.
Ich war eigentlich im Begriff, Thanda zu treffen, eine süße Burmesin, die ich damals in Nagasaki kennengelernt und zufällig später in Hanoi wiedergetroffen hatte. Sie hatte hier studiert und sich nun darauf vorbereitete, ihren Heimweg anzutreten, um endlich ihr wahres Leben in Rangun zu beginnen. Ich beneidete sie darum, denn ich hatte schon mehrere Leben begonnen und wieder abgeschlossen und tat mir sichtlich schwer damit, wieder ein Neues zu beginnen.
Sie trug einen schwarzen Zopf, ihr Teint schokoladig dunkel, ihre Zähne standen in alle Richtungen. Bei einer Cola erzählte sie mir von ihren Plänen und mir war, als säße hier ein Geist, der bald in die Ferne entschwinden würde. Ich kannte das Gefühl, wenn man schon nicht mehr an dem Ort war, sondern mit dem Kopf schon dort, wo man hinfuhr.
In Wahrheit war ja ich der Geist: formlos, ohne Zukunft, ohne Richtung, ohne Plan, zumindest mit philosophischem Vektor. Noch waren die Ideen unvollständig manifestiert. Noch regierte die Angst davor, den Traum zu leben.
Sie erzählte von ihren Plänen, ihrer Karriere, ihrer arrangierten Hochzeit. Sie langweilte mich zu Tode.
Am Nebentisch lag eine geile Banane, halb geöffnet blittze ihr Fruchtfleisch hervor.
Thanda merkte meine geistige Abwesenheit, und fragte mich, was mit mir los sei.
Plötzlich kam jemand neben uns zum Stehen und quatschte uns an: Es war mein bester Freund Antebello. Hatte ich erwähnt, dass ich hierherkam? Aber er verkehrte oft hier, daher war es nicht wirklich überraschend, dass wir uns trafen.
„Are you his girlfriend? I always wanted to fuck an Asian girl. Do you have a friend I can meet? Or maybe two?”
„You are all pigs“, sagte sie – und zog wütend ab.
„Was hat sie denn? Kann sie sich nicht vernünftig unterhalten?“
Wir tranken uns bewusstlos, ich weiß nichts mehr vom Rest des Abends.
War das das Künstlerleben?
In dieser Nacht träumte ich von Taranteln, die zwischen Bananenstauden umherkrabbelten. Kein gutes Zeichen.

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